Dies ist der erste Post der Libri Legendi-Reihe (zu deutsch: Bücher, die gelesen werden sollten), in der ich Buchrezensionen mit passenden Outfitentwürfen verbinden möchte. Und zur angemessenen Würdigung dieses Anfangs möchte ich mit einem klassischen Werk beginnen: Senecas "Medea".
Der Mythos ist bekannt: Medea, die Tochter des Kolcherkönigs Aietes, verliebt sich in Jason, den Anführer der Argonauten, hilft ihm, ihrem Vater das Goldene Vlies zu stehlen, und flieht mit ihm nach Athen, tötet aus Liebe zu Jason sogar ihren Bruder, der die Flucht verhindern wollte. In Athen gebärt sie Jason zwei Söhne. Dieser aber hat genug von Flucht und dem Leben als Verbannter und will Creusa, Königstochter von Athen, heiraten, um seinen früheren sozialen Stand wiederzuerlangen.
Hier setzt Senecas Drama ein: Nachdem Jason Creusa heiratet und Medea den Hochzeitszug vorbeiziehen sieht, trifft sie mit Creo, Creusas Vater, zusammen, der sie verbannen will, weil er und die Korinther sich vor ihren Ränken fürchten. Medea erbittet sich aber einen Tag Aufschub, angeblich, um sich von ihren Kindern zu verabschieden und die Flucht vorzubereiten, in Wirklichkeit aber, um sich zu rächen. Jason erscheint und will sich gegenüber Medea erklären: Er befindet sich im Konflikt zwischen seiner Treue zur Gattin und der Liebe zu seinen Kindern. Nur, weil er nicht mehr fliehen und seine Söhne in Sicherheit wissen will, hat er Creusa geheiratet. Er bittet Medea, ihr Leben zu retten, verweigert ihr aber, die Kinder mitzunehmen. Medea spielt vor Jason die Versöhnliche, beginnt dann aber außer sich vor Wut mit den Vorbereitungen für ihre Rache. In einem beeindruckenden magischen Ritual verhext sie ein Gewand und Schmuck und bittet ihre Kinder, diese als Geschenke Jasons neuer Ehefrau zu überbringen.
Im letzten Akt vollendet Medea ihre Rache: Man erfährt von dem unglücklichen Ende der Königsfamilie und dem Brand von Korinth. Medea kämpft mit Zweifeln und Mutterliebe, tötet aber schließlich ihre Kinder und entkommt dem zornigen Jason.
Im letzten Akt vollendet Medea ihre Rache: Man erfährt von dem unglücklichen Ende der Königsfamilie und dem Brand von Korinth. Medea kämpft mit Zweifeln und Mutterliebe, tötet aber schließlich ihre Kinder und entkommt dem zornigen Jason.
Warum sollte man dieses Werk lesen? Genauer: warum ziehe ich es all den anderen Medea-Adaptionen vor? Seneca ist es gelungen, Medeas Gefühlswelt besonders faszinierend und ergreifend darzustellen. In wenigem Versen, mit wenigen Worten werden Wut, Liebe, Eifersucht, Reue, Traurigkeit und Hohn ausgedrückt, wird Medea wie ein Spielball zwischen Wahnsinn, Zweifeln, Hemmunglosigkeit, Zögern, Rückziehern und Raserei hin- und hergeworfen.
Für den Philosophen Seneca ist als Anhänger der Stoa ein Leben, das von Leidenschaften und Affekte bestimmt wird, verachtenswert. Dies demonstriert er an Medea: Sie ist außer sich vor Wut, ihr Zorn kann sich nur noch weiter steigern und obwohl sie noch Spuren von Muttergefühl oder Reue zeigt, ist sie ihren Affekten ausgeliefert – das tragische Ende kann nicht mehr verhindert werden. Medea wird für Seneca also zur Personifizierung des Übels schlechthin und in seiner Darstellung ihrer Raserei steckt eine faszinierende Kraft, der man sich nicht entziehen kann.
Dieses Outfit soll eine Metapher für Medeas Entwicklung darstellen. Das zarte feminine Kleid im griechischen Stil steht für ihren Traum, als geliebte Frau und Mutter an Jasons Seite zu stehen. Es wird durch eine Lederjacke und waffenähnliche Accessoires ergänzt, die Medeas Stachelpanzer aus Zorn und Rachsucht symbolisieren.
Also: Lest das Buch. Oder geht Shoppen. Vielleicht beides? =)
Aber denkt daran: haec omnia sunt vanitates...
Eure Héloise